Implantate, Stammzellen und elektrische Stimulation mit STELLA 4.0
An der Universität Rostock arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an innovativen Methoden, um Knochenverletzungen und -defekte zu heilen. Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1270 „ELAINE“ (ELektrisch Aktive ImplaNtatE) zeichnet sich durch die Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Elektrotechnik, Biologie, Medizin und weiteren Fachrichtungen aus. Gemeinsam entwickeln sie neuartige Implantate, die mit Hilfe von elektrischen Impulsen das Knochenwachstum fördern.
Interdisziplinäre Forschung mit großem Potenzial
Ein besonderes Projekt innerhalb des „ELAINE“-Verbunds ist die Entwicklung eines innovativen Implantatsystems zur Behandlung von Unterkieferdefekten. Hier arbeiten die Biologinnen PD Dr. Nadja Engel und Laura Lembcke gemeinsam mit einem Team an einem Verfahren, das elektrische Stimulation nutzt, um die Knochenheilung nach großen Defekten zu fördern.
Nach mehreren Jahren Grundlagenforschung unter Führung der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen Professor Peer Kämmerer von der Universitätsmedizin Mainz und Professor Bernhard Frerich von der Universitätsmedizin Rostock konnte im 3D-Drucker ein lasttragendes Implantat aus einer Titan-Legierung entwickelt werden. Es passe perfekt in die von der Operation entstandene Lücke.
„Unterkieferdefekte treten häufiger auf, als man denkt. Sie entstehen oft durch die Entfernung von gut- oder bösartigen Tumoren oder aufgrund schwerer Entzündungen“, erklärt Dr. Engel. „Bisher war es nur durch komplexe Knochentransplantate möglich, solche Defekte zu behandeln und Funktionen wie Kauen oder Schlucken wiederherzustellen. Besonders bei älteren Patientinnen und Patienten verläuft die Knochenheilung oft sehr langsam.“
Elektrische Stimulation fördert Heilung
Um das Knochenwachstum direkt am Implantat anzuregen, kommt die neu entwickelte Stimulationseinheit STELLA 4.0 zum Einsatz. Diese etwa zwei Zentimeter große Einheit wurde unter der Leitung von Professor Christian Haubelt und seinem Team am Institut für Angewandte Mikroelektronik und Datentechnik der Universität Rostock entwickelt. „STELLA 4.0 stimuliert mithilfe von elektrischen Impulsen gezielt die Teilung von Stammzellen an den Kontaktstellen zwischen Knochen und Implantat, so dass diese in das Implantat einwachsen können“, erklärt Laura Lembcke.
Die technische Grundlage für das elektrische Feld und die Unterstützung der biologischen Experimente kommen von der Sprecherin des ELAINE-Verbunds, Professorin Ursula van Rienen, und ihrem Team. Mit diesen elektrischen Impulsen soll ein gleichmäßiges Feld im Implantat entstehen, das nicht nur den Heilungsprozess unterstützt, sondern auch in Zukunft Rückmeldungen über den Fortschritt der Knochenheilung liefern könnte.
Forschung auf dem Weg in die Zukunft
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des SFB 1270 „ELAINE“ arbeiten kontinuierlich daran, ihre Methoden im Labor weiterzuentwickeln. Ein großer Schritt nach vorn war die Einführung eines verbesserten Stimulationssystems, das eine Echtzeitüberwachung der Experimente ermöglicht. „Wir können jetzt direkt beobachten, wie Zellen wachsen, sich teilen und bewegen“, erklärt Nadja Engel. Gleichzeitig wird an der Entwicklung einer sogenannten ex vivo Stimulationskammer (ex vivo: außerhalb des Körpers) gearbeitet, um Tierversuche in der Zukunft zu reduzieren.
Hintergrund: Der Sonderforschungsbereich ELAINE
Im Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“ forschen rund achtzig Expertinnen und Experten hauptsächlich von der Universität Rostock und der Universitätsmedizin Rostock an neuen Technologien zur Regeneration von Knochen und Knorpeln. Zu den Projekten gehört neben der Knochen- und Knorpelheilung auch die sogenannte Tiefe Hirnstimulation, die beispielsweise zur Behandlung von Parkinson eingesetzt wird. Seit seiner Gründung im Jahr 2017 hat der Verbund bedeutende Fortschritte erzielt, wie beispielsweise die Entwicklung der miniaturisierten Stimulationseinheit STELLA 4.0. Diese Forschung könnte nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Industrie von großer Bedeutung sein.
„Die Grundlagenforschung, die hier geleistet wird, hat das Potenzial, die Behandlung von Knochendefekten insgesamt zu revolutionieren“, betont Professor Frerich. Eine weitere Verlängerung des Sonderforschungsbereichs „ELAINE“ durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bis 2029 wäre ein großer Gewinn für den wissenschaftlichen Nachwuchs und die medizinische Forschung an den Standorten. Neben der Universität und der Universitätsmedizin Rostock sind die Universitäten und Hochschulen in Greifswald, Leipzig, Nürnberg-Erlangen, Mainz und Wismar an „ELAINE“ beteiligt.
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