Vom Zettelkasten ins Internet und zurück: Niederdeutsch digital und vernetzt (23.05.2022)

Stichwort „Aalhark“ im ersten Band des Mecklenburgischen Wörterbuchs (Copyright: Universität Rostock)
"Zettelwand" von Richard Wossidlo (Copyright: Universität Rostock)

Die Forschung zu Dialekten und Regionalsprachen hat sowohl an der Universität Rostock als auch an der Universität Trier eine lange Tradition. Mit der nachträglichen Digitalisierung zahlreicher gedruckter Wörterbücher, ihrer Online-Präsentation sowie ihrer Integration in ein digitales Wörterbuchnetz (www.woerterbuchnetz.de) hat das Trier Center for Digital Humanities (TCDH) der Universität Trier gemeinsam mit zahlreichen Partnern in den vergangenen zwei Jahrzehnten Grundlagenarbeit für die heutige sprachwissenschaftliche Forschung geleistet. In Trier wurden u.a. das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm und das Goethe-Wörterbuch digitalisiert sowie Verbünde zum Mittelhochdeutschen und zu den westmitteldeutschen Regionalsprachen aufgebaut und über eine wörterbuchübergreifende Struktur vernetzt. Das Institut für Germanistik der Universität Rostock fokussiert sich mit der hiesigen Professur für Niederdeutsche Sprache und Literatur sowie der Wossidlo-Forschungsstelle für Europäische Ethnologie/Volkskunde auf die norddeutsche Regionalsprache und regionale Literatur bzw. auf die regional- und alltagsbezogene Kultur Mecklenburgs. Die traditionell engen Beziehungen zwischen diesen beiden Rostocker Forschungsbereichen zeigen sich u.a. in ihrer Zusammenarbeit am Mecklenburgischen Wörterbuch.

Das Mecklenburgische Wörterbuch zählt dabei zu den großlandschaftlichen wissenschaftlichen Dialektwörterbüchern und stellt den wichtigsten Zugang zum Wortschatz der mecklenburgischen Mundart dar. Zugleich ist es derzeit das einzige abgeschlossene Großwörterbuch für den mecklenburgisch-vorpommerschen Sprachraum. Es liefert umfassende Informationen zur Bedeutung und Verwendung sowie zur Grammatik regionaler Lexeme auf der Basis einer Million mündlicher und schriftsprachlicher Quellenbelege, die dialektgeographisch und sprachhistorisch eingeordnet und teilweise auch kartografisch veranschaulicht werden. Vom Volkskundler Richard Wossidlo zusammen mit dem Dialektologen Hermann Teuchert erarbeitet, präsentiert es über den niederdeutschen Wortschatz hinaus volkskundliche, agrar- und sozialgeschichtliche Quellen und vereint hierin beispielhaft die Eigenschaften eines großlandschaftlichen Wörterbuchs mit dem Charakter einer ethnografisch-historiografischen Enzyklopädie. Damit stellt das Mecklenburgische Wörterbuch ein unschätzbares Zeugnis der regionalen Sprach- und Kulturgeschichte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar.

Mit Beginn dieses Jahres startete nun unter dem Titel „Wossidlo-Teuchert online“ ein neues, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt zur Digitalisierung und Vernetzung von lexikographischen Quellen und Materialien für den niederdeutschen Sprachraum, in dessen Zentrum das Mecklenburgische Wörterbuch und das digitale Wossidlo-Archiv WossiDiA (www.wossidia.de) stehen. WossiDiA ist die Bezeichnung für die digitale Version des Zettelkastensystems Richard Wossidlos, das dem Mecklenburgischen Wörterbuch zugrunde liegt. 2014 wurde WossiDiA von der Wossidlo-Forschungsstelle online gestellt und seitdem kontinuierlich zu einer interdisziplinär nutzbaren Forschungsumgebung ausgebaut.

Das Projektteam um Professor Andreas Bieberstedt (Institut für Germanistik der Universität Rostock), Dr. Christoph Schmitt und Dr. Petra Himstedt-Vaid (Wossidlo-Forschungsstelle für Europäische Ethnologie/Volkskunde), Dr. Holger Meyer (Lehrstuhl für Datenbank- und Informationssysteme), Karsten Labahn (Universitätsbibliothek Rostock) und Dr. Thomas Burch (TCDH) verfolgt neben der weltweiten Verfügbarmachung der von 1937 bis 1992 entstandenen, längst vergriffenen und nur noch im Präsenzbestand größerer Bibliotheken vorhandenen Ausgabe des Wörterbuchs als weitere Ziele des Projekts seine Vernetzung mit dem digitalen Quellenarchiv sowie mit den anderen Wörterbüchern des Trierer Wörterbuchnetzes. Auf diese Weise können niederdeutsche und hochdeutsche Stichwörter im Rahmen übergeordneter Abfragen über mehrere Wörterbücher hinweg gesucht und verglichen werden und lexikologische, dialektologische, sprachhistorische, komparatistische, aber auch ethnologische Fragen verfolgt werden.

Als Pilotprojekt soll „Wossidlo-Teuchert online“ zugleich die Grundlagen für die künftige digitale Aufbereitung und Vernetzung weiterer niederdeutscher Wörterbücher legen. In seiner Konzeption orientiert sich das Projekt an den Prämissen der sogenannten Open Science hinsichtlich Interoperabilität und Nachhaltigkeit, indem die Anbindung an bestehende Verbundnetze sowie die Integration weiterer Quellen durch die Programmierung offener Schnittstellen sichergestellt werden. Die Nachhaltigkeit der Ergebnisse wird durch die Berücksichtigung internationaler Standards der Digital Humanities sowie der Langzeitsicherung der Forschungsdaten am TCDH und der Universitätsbibliothek Rostock gewährleistet.

Quelle:


Zurück zu allen Meldungen